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unzweifelhaft aus einer Kreuzung der O. aranifera mit O. fuciflora hervorgegangen; einen Bastard dieses Ursprungs fand ich in der von mir zu Rate gezogenen Litteratur nicht beschrieben, bis mir ganz vor kurzem durch die Güte der Herren Dr. P. Magnus und Dr. Bonnet eine ebenso seltene als wertvolle kleine Schrift bekannt wurde: Recherches sur quelques Orchidées des environs de Toulon, par M. Ch. Grenier. Extrait des Mémoires de la Société d'Emulation du Doubs 1859. In dieser Abhandlung, in der der verstorbene hochverdiente französische Florist eine Anzahl Orchideen nach lebenden Exemplaren, die ihm der damalige Direktor des "Jardin botanique de la marine impériale à St. Mandrier, près de Toulonsur- Mer", Mr. Philippe, übersandte, beschrieben hat, findet sich p. 9 eine Ophrys arachnitiformis Gren. et Phil. aufgestellt, welche, wie wir weiter unten sehen werden, dem von Herrn Lauche kultivirten Bastarde so nahe steht, dass einen gleichen Ursprung für dieselbe vorauszusetzen wohl nicht zu gewagt erscheint.
Ausser O. hybrida, welche Pokorny am Bisamberge bei Wien 1846 entdeckte, sind in dem erwähnten Werke von G. Reichenbach noch zwei andere Bastardformen der genannten drei Arten aufgeführt: O. apicula J. C. Schmidt (l. c. p. 79 tab. 102. fig. 6—9), ebenfalls ans der Kreuzung von O. muscifera und O. aranifera entstanden, vom Autor bei Holderbach im Kanton Aargau 1832 aufgefunden, und O. devenensis Rchb. fil. (l. c. p. 87 tab. 102 nebst fig. 1—4), ein von dem gefeierten Monographen der Familie bei Les Devens bei Bex im Kanton Waat 1843 zwischen O. muscifera und O. fuciflora beobachteter Bastard.
Die Gattung Ophrys zeichnet sich vor den übrigen, unter einander sehr nahe verwandten Gattungen der Gruppe, welche ihren Namen führt, noch mehr durch das eigentümliche Aussehen ihrer Blüten aus, als durch das technische Merkmal der zwei getrennten Beutelchen (bursiculae), in welche die Stieldrüsen der Pollenmassen, die sog. retinacula, eingeschlossen sind. Diese Blüten zeigen eine auffallende Aehnlichkeit mit manchen Insekten (in Linne's Sinne), eine Aehnlichkeit, die von altersher auch in der Nomenklatur ihren Ausdruck gefunden hat. Linné sah alle Arten, welche jetzt allgemein (z. B. in Reichenbach's Werke) zu Ophrys gerechnet werden, als Formen
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einer Art, O. insectifera, an; seine übrigen Ophrys-Arten gehören grösstenteils nicht einmal zu der heutigen Tribus der Ophrydeen.
Unter den jetzigen Benennungen und Synonymen von Arten und Formen sind die Namen apicula, apifera, arachnites, arachnoides, araneola, aranifera, bombifera, bombyliflora, bremifera, crabonifera, fucifera, fuciflora, muscaria, muscifera, myodes, oestrifera, sphegifera, tabanifera, tenthredinifera, vespifera (die gesperrt gedruckten sind von Reichenbach für Arten angenommen) aus der Entomologie, nur der Name Scolopax einem weniger gerechtfertigten Vergleiche aus der Ornithologie entlehnt. Diese Insekten- Aehnlichkeit, welche selbst dem ungeübten Auge des Anfängers die Zugehörigkeit zu dieser Gattung sofort verrät (höchstens die Serapias- Arten erinnern einigermaassen in ihren Blüten an unsere Gattung, sind aber habituell durch die grossen gefärbten Tragblätter derselben leicht zu unterscheiden), wird namentlich durch die eigentümliche Färbung und sammetartige Behaarung der Lippe (labellum) hervorgebracht, die unverkennbar an den behaarten Hinterleib vieler Insekten, namentlich Hymenoptera, erinnert. Noch tierähnlicher, so zu sagen, erscheinen die in der Regel auf dieser Lippe befindlichen kahlen Stellen, deren oft bläulich-graue Farbe und glänzende Oberfläche an die geschorene Haut langhaariger Tiere, z. B. eines schwarzen Pudels, erinnert. Für die einzelnen Arten sind diese kahlen Stellen (signa, liturae) sehr charakteristisch. Die seitlichen äusseren Perigonblätter (sepala) stellen alsdann die Flügel, und die seitlichen inneren (petala) die Fühlhörner des Insekts dar.
Die Linné'sche Ansicht über den spezifischen Wert der Ophrys- Formen kann als ein vollgültiges Zeugnis für ihre nahe Verwandtschaft, also für die Natürlichkeit der heutigen Gattungsbegrenzung gelten; sie erinnert an die ähnlichen Anschauungen des grossen schwedischen Naturforschers über die Medicago-Formen. Indess bei Ophrys wie bei Medicago hat man eine Anzahl wichtiger und zum Teil auch leicht aufzufindender Merkmale in Betracht gezogen, durch welche sich das anscheinende Chaos der Formen sicher und ohne allzu grosse Schwierigkeiten in eine Anzahl scharf geschiedener Arten gliedern lässt. Als solche gelten bei Reichenbach hauptsächlich die Form und Bekleidung der Petala, die bei manchen Arten kahl, bei anderen sammetartig behaart sind; die Form der
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Lippe (bei manchen ungeteilt, bei anderen dreilappig), die Richtung ihrer Ränder, das Vorhandensein oder Fehlen resp. die Richtung eines kahlen Anhängsels an der Spitze der Lippe resp. ihres Mittellappens, die Form und der Ort der kahlen Stellen.
Die Mehrzahl dieser Merkmale ist geeignet, die beiden Eltern des fraglichen Bastardes auf den ersten Blick von einander zu trennen, so dass die intermediäre Stellung des letzteren ebenfalls mit der grössten Leichtigkeit festzustellen ist. Bei Ophrys aranifera (Fig 3.) sind die drei Sepala grünlich, die beiden seitlichen Petala nahezu von der Länge der Sepala, zungenförmig, am Grunde kaum verbreitert, gelbgrün, kahl. Die länglich-verkehrt-eiförmige Lippe ist in der Regel ungeteilt, mit stark zurückgeschlagenen Seitenrändern, an der meist ausgerandeten Spitze öfter mit einem Spitzchen, aber nicht mit einem deutlichen Anhängsel versehen. Die kahlen Stellen stellen ungefähr ein stark in die Länge gezogenes H dar. O. fuciflora (Fig. 4.) hat hingegen blassrosa gefärbte Sepala, sammetartig behaarte, rötliche, dreieckige, am Grunde etwas herzförmige, seitliche Petala, die viel kleiner als die Sepala sind, und eine breit-verkehrt- eiförmige, flache, wenig an den Rändern rückwärts gebogene Lippe, welche an der Spitze ein aufwärts gekrümmtes, kahles, vorn dreizahniges Anhängsel trägt. Am Grunde der Lippe befindet sich in der Regel jederseits ein hornähnlicher, gerade vorwärts gerichteter behaarter Höcker; bei O. aranifera genuina Rchb. fil. fehlen diese Höcker, die auch bei unseren Bastardformen nicht vorhanden sind, während sie z. B. die ebenso wie die Hauptform verbreitete var. fucifera (Sm.) Rchb. fil., deren Abbildung wir hier entlehnt haben, besitzt. Die kahlen Stellen haben die Gestalt eines H, welches mindestens so breit als hoch ist und unter dem sich häufig noch ein kahler Querstreifen befindet.
Bei unserem Bastarde sind die Sepala grünlich-weiss, die seitlichen Petala, welche halb so gross als die Sepala oder etwas grösser und zungenförmig sind, gelblich-grün, besonders am Rande etwas sammetartig papillös, die Lippe ist an den Rändern ziemlich stark zurückgerollt und trägt an der Spitze ein gerade vorwärts gerichtetes, zwar kleines aber deutliches, spitzes Anhängsel. Es liegen von diesem Bastarde zwei nur wenig verschiedene Formen vor, deren Blüten in den von Herrn F. Kurtz mit gewohnter Sorgfalt nach der lebenden Pflanze
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entworfenen Figuren 1 u. 2 abgebildet sind. Bei der einen (Fig. 1 ), welche eine der O. aranifera etwas nähere Form darstellt, der auch das von Herrn W. Lauche's Meisterhand in natürlicher Grösse abgebildete Exemplar angehört, sind die seitlichen Petala schmäler, länger und mehr gelblich-grün, die Lippe und ihre kahlen Stellen etwas mehr in die Länge gezogen, während bei der auf Fig. 2 dargestellten Pflanze, die sich der O. fuciflora etwas mehr nähert, die seitlichen Petala mehr weisslich, breiter und kürzer, die Lippe und die kahlen Stellen mehr in die Breite gezogen sind. Beide Formen sind durch die Bildung der seitlichen Petala auffallend von O. fuciflora, durch das Anhängsel an der Spitze der Lippe von allen Formen der O. aranifera verschieden. Die Grenier-Philippe'sche Pflanze, von der ich durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. Bonnet ein Original-Exemplar aus dem Pariser Museum erhielt, stimmt in allen wesentlichen Merkmalen u. a. "divisions périgoniales intérieures de moitié plus petites [que les extér.], labelle muni en avant dans l'échancrure d'un appendice court, glabre et porrige", mit den hier abgebildeten Formen überein. Unterschiede sind nur in weniger wichtigen Merkmalen zu finden. Die seitlichen Petala sind etwas breiter und kürzer, und die nicht ganz fehlende papillöse Bekleidung ihrer Ränder so unscheinbar, dass Grenier sie glabres nennt; ihre Farbe ist vom Autor nicht angegeben, scheint aber nach dem trocknen Exemplar grünlich zu sein. An diesem Exemplar finden sich an der Lippe zwei sehr starke Höcker, doch unterscheidet Grenier 3 Formen: α. cornuta mit langen, β. mammosa mit kurzen, γ. explanata ohne Höcker. Grenier und Philippe haben für ihre Pflanze den Verdacht der Hybridität nicht ausgesprochen, welchen an Ort und Stelle zu prüfen ist. Für die hier abgebildete Pflanze kann ich nach Vergleich mit den angenommenen Stamm-Arten an der Richtigkeit von Herrn Lauche's Annahme hybrider Abstammung nicht zweifeln. Bei der Geringfügigkeit der oben erwähnten Merkmale, welche die französische Pflanze von der von Herrn Lauche kultivirten trennen (bei Bastarden kann ja ohnehin eine völlige Identität zweier an verschiedenen Orten und zu zwei verschiedenen Zeiten entstandenen Formen nicht erwartet werden), hielt ich es vorläufig für weniger gewagt, letztere als Form der ersteren unterzuordnen, als sie durch eine eigene Benennung für wesentlich verschieden zu erklären.
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Wenn wir schliesslich noch Ophrys arachnitiformis nach alter Sitte durch eine lateinische Diagnose charakterisiren wollen, so würde sie, dem Vorbilde der Reichenbach'schen sich anschliessend, etwa folgendermaassen lauten:
Ophrys arachnitiformis Gren. et Phil. (aranifera × fuciflora).
Perigonii phyllis lateralibus internis ligulatis elongatis margine parce papilloso-velutinis, labello oblongo-obovato, margine revoluto convexo, signis fere aeque latis ac longis, appendice minuta porrecta acuta.
Erklärung der Tafel VI.
Ophrys arachnitiformis Gren. et Phil.
Die Pflanze in natürlicher Grösse, nach einer Aquarelle von W. Lauche.
Fig. 1a. Blüte einer der O. aranifera etwas näher stehenden Form, von vorn. 1b. Lippe derselben, von der Seite gesehen.
Fig. 2a. Blüte einer der O. fuciflora etwas näher stehenden Form, von vorn. 2b. Lippe derselben, von der Seite gesehen.
Fig. 1 und 2. fast 2/1 der natürlichen Grösse, nach Farbenskizzen von F. Kurtz.
Ophrys aranifera Huds. var. fucifera (Sm.) Rchb. fil.
Fig. 3. Blüte von vorn, nat. Gr. (nach Reichenbach Icon. XIII. XIV. tab. 97. IV.).
Fig. 4. Blüte von vorn, nat. Gr. (nach Reichenbach l. c. tab. 109 I.).