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UEBER
PAGANINI'S KUNST
DIE
VIOLINE
ZU SPIELEN
en Anhang zu jeder bis jetzt erschienenen
VIOLINSCHULE
uebst einer Abhandlung über das
Flageoletspiel in einfachen und Doppeltönen
DEN HEROEN DER VIOLINE
Rode, Kreutzer, Baillot, Spohr
ZUGEEIGNET VON
CAROL GUHR
Director und Kapellmeister des Theaters zu Frankfurt a/m.
No. 3194 Eigenthum der Verleger. Eingetragen in das Archiv der Union Pr. 4 fl. 30 kr MAINZ ANTWERPEN UND BRÜSSEL bei B. Schott's Söhnen Vollständige Auslieferungslager unserer Verlagswerke in Leipzig, bei C. F. Leede in Wien, bei H. F. Midler EIGENTUM Hans Hausotter
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Ubersicht des werkes
UEBERSICHT DES WERKES.
Pag.
Vorrede ... 1. §1. Ueber den Bezug der Saiten ... 3. §2. Ueber die Einrichtung des Steges ... // [3]. §3. Haltung des linken Armes ... // [3]. §4. Haltung des rechten Armes ... // [3]. §5. Paganini's Stelling des Körpers ... 4. §6. Von dem Mechanism des Paganinischen Spieles ... // [4]. §7. Von der Stimmung seines Instrumentes ... // [4]. §8. Paganini's Bogenführung ... 7. §9. Paganini's Vermischung des Spiels mit dem Bogen und dem Pizzicato der linken Hand ... 12. §10. Das Flageolet-Spiel in einfachen Tönen ... 13. a.) Natürliche Flageolettöne ... 14. b.) Künstliche Flageolettöne mit einem festen und einem losen Finger ... 15. c.) Diatonische Tonleiter, wobei die natürlichen Flageolettöne die mehrsten Stufen der Scala einnehmen ... 17. d.) Tonleiter der künstlichen Flageolettöne ... 18. e.) Chromatische Tonleiter ... 23. §11. Von den Doppel-flageolettönen ... 24. a.) Von der Verbindung der natürlichen Flageolettöne ... // [24]. b.) Von den künstlichen Doppel-flageolettönen ... 25. Reine Quinten ... // [25]. Grosse Terzengriffe ... 26. Kleine Terzen ... // [26]. Reine Quarten ... 27. Grosse und kleine Sexten ... // [27]. Kleine, grosse und verminderte Septimen ... 28. Octaven ... 29. Einklänge ... // [29]. Tonleitern in Doppeltönen ... 30. Scalen in Sexten ... 33. c.) Uebungsstücke für das Flageolet einfach und doppelt ... 34. d. ) Von der Art die Flageolettöne zu schreiben ... 38. e.) Von der Verbindung des Flageolets mit dem gewöhnlichen Spiele ... 39. §12. Ueber Paganini's Compositionen für die G Saite, und deren Ausführung ... // [39]. §13. Paganini's Tour de force ... 42. §14. Ueber Paganini's Vortrag im Allgemeinen ... 60. §15. Schlussbemerkungen ... 61.
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1 VORREDE. Schwerlich würde ich je daran gedacht haben, die Zahl der Violinschulen zu vermehren, wenn nicht Paganini nach Deutschland gekommen wäre und durch sein ausserordentliches, von allem bisher Gehörten ganz abweichendes Spiel die Wunder des Orpheus erneuert hätte.
RODE, KREUTZER, BAILLOT, SPOHR, diese Riesen unter den Violinspielern, schienen Alles erschöpft zu haben, was man auf diesem Instrumente nur immer leisten konnte. Sie erweiterten den Mechanismus desselben und wussten die grösste Mannifgaltigkeit in die Führung des Bogens zu bringen, der sich bei ihnen allen Schattirungen des Vortrages und Ausdrucks willig hingab. Durch den Zauber ihres Tones, den sie mit der menschlichen Stimme wetteifern liessen, geland es ihnen, jede Leidenschaft, jede Regung des Gemüthes darzustellen, und so erhoben sie, fortschreitend auf dem Wege, den die CORELLI, TARTINI, VIOTTI gebahnt, die Violine zu dem hohen Range, der ihr die Macht verliebt, die menschliche Seele zu beherrschen. Sie bleieben in jeder Hinsicht gross und unübertroffen.
Allein hört man Paganini und vergleicht ihn mit andern Meistern, so muss man eingestehen, dass er alle Schranken, welche bis jetzt die Gewohnheit aufgestellt, durchbrochen und sich einen ganz eigenen, nenen Weg gebahnt hat, der ihn von jenen grossen Künstlern so wesentlich absondert, dass eben jeder, der diesen Zauberer zum erstenmal hört, durch das Neue, Unerwartet in Erstaunen, Bewunderung und Entzücken versetzt wird; in Erstaunen, durch die dämonische Gewalt, die er über sein Instrument übt; in Bewunderung und Entzücken darüber, dass er, bei diesem allgewaltigen, alles bezwingenden Mechanismus seines Spieles, zu gleicher Zeit der Phantasie so gränzenlosen Spielraum gewährt, indem er seinem Instrumente den göttlichen Hauch der Menschenstimme zu geben weiss und damit die innersten Tiefen des Gemüthes durchdringt. Ueberhaupt versteht er Wirkungen auf seinem Instrumente hervorzubringen, von denen man bis jetzo keine Ahnung hatte, so dass der Sprache Worte fehlen, um von dem Bericht zu geben, was man so eben gehört.
Da ich längere Zeit so glücklich war, diesen grossen Meister öfter zu hören und micht mit ihm über die Art seines Spieles zu unterhalten, so bemühete ich mich, weil er sehr bedächtig Allem auszuweichen suchte, was das Geheimniss seiner Kunst (wenn ich es so nennen darf) betraf, ihn genau zu beobachten und das, worin er sich von allein übrigen Meistern der Violine absondert, selbst zu erforschen, um es dan auf meinem Instrumente, wenn auch natürlich noch ganz unvollkommen, nachzumachen; welches mir denn auch zu meiner Freude nach und nach immer besser gelang.
Aufgefordert von mehreren Kunstgenossen, fasste ich nun den Entschluss, zum Frommen derjenigen, die vielleicht diesen Meister gar nicht oder wenigstens nicht so oft gehört, um sich eine Vorzüge aneignen zu können, den Gang des Paganinischen Spieles näher zu bezeichnen und besonders das so selten in Lehrbüchern vollständig besprochene Flageolet-Spiel in eine Art von System zu bringen, damit der darin Ungeübte sich hier für einfache und doppelte Flageolettöne, so wie für Bildung und Ausführung ganzer Sätze Raths erholen könne.
Ganz mit Unrecht hat die neuere Violinschule das Flageoletspiel gänzlich vernachlässigt, da es, auf sinnreiche Weise, mit Beurtheilung und Geschmack angebracht, nicht nur von der grössten Wirkung ist, sondern auch vorzüglich die zarte Führung des Bogens, als wesentliches Bedingniss bei diesen Tönen, befördert und der linken Hand eine Sicherheit und Festigkeit gewährt, die an Unfehlbarkeit gränzt, indem hier das strengste Reingreifen nöthig ist, weil ohne dasselbe die verlangten Töne gar nicht ansprechen.
Dies sind die Gründe, welche mich bestimmten, dieses Lehrbuch herauszugeben, welches aber nur Dasjenige berühren soll, was Bezug auf die Eigenthümlichkeit des Paganinischen Spiels hat, alles Uebrige, in andern Schulen bereits Erwähnte, übergehend. Möchte es mir gelingen, etwas dazu beizutragen, dass der mechanische Theil, den Paganini so ungeheuer auf seinemn Instrumente erweiters, auch im Allgemeinen noch eine höhere Stufe erlange.
Nach dem Vorhergesagten kann ich von der Billigkeit meiner Leser erwarten, dass sie hier nicht eine förmliche Violischule, das Wort in seiner vollen Bedeutung genomment, erwarten; sondern mehr nur einen Anhang zu jeder Methode, die Violin zu erlernen.
Bevor ich zu dem Technischen übergehe, einige Worte über Paganini selbst.
Nicht zufrieden, ihn als Kinder gross und einzig zu finden, bemüht man sich --- vielleicht durch
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